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Zusammenbruch nach Dreh – Schauspieler leidet an Post-Covid, doch keiner darf es wissen

FOCUS online: Sie leiden an Post-Covid und der Multisystemerkrankung ME/CFS. Die Abkürzung steht für Myalgische Enzephalomyelitis, manche sprechen auch vom „Chronischen Erschöpfungssyndrom“. Wie geht es Ihnen heute?

Dennis Heintz (Name von der Redaktion geändert): Ich bin etwas erkältet, aber ansonsten ist es okay. Man steckt nicht drin. Es gibt Tage, an denen bin ich fit und kann acht Stunden arbeiten. Und dann gibt es Tage da schaffe ich noch nicht mal zwei Stunden, da liege ich von morgens bis abends völlig erschöpft im Bett.

Läuft man bei solchen Ups und Downs nicht Gefahr, als Simulant zu gelten? Nach dem Motto: Gestern war er doch noch voll da – tut der vielleicht nur so?

Heintz: Die Frage ist berechtigt, meine noch deutlich größere Sorge bezieht sich aber auf den Beruf und darauf, dass ich nicht mehr gebucht werden könnte, wenn ich den Stempel Post-Covid habe. Das ist der Grund, weshalb ich vorsichtig bin, meine Erkrankung öffentlich zu machen. Bei jedem Casting, für Nebenrollen und für Hauptrollen natürlich sowieso, sind immer drei bis vier Leute in der Endrunde. Bei den Produktionen geht es um viel Geld…

Das heißt?

Heintz: Ich kann Produzenten verstehen, die sicher sein wollen, dass man die 30 Tage für eine Hauptrolle oder die sechs Tage für eine Nebenrolle am Stück durchhält. Im Zweifel nimmt man lieber jemanden ohne Erkrankung. Von Castern, Produzenten und Regisseurin meines Vertrauens habe ich immer wieder gehört: „Hör mal, Dennis, sag das lieber nicht öffentlich mit deiner Krankheit." Vielleicht war ich naiv, als ich 2021 ganz unbefangen über meine Blutwäsche berichtet habe.

In den Medien?

Heintz: Ja. Die Therapie war damals noch sehr wenig bekannt. Ich hatte mir davon eine Besserung meiner Symptome erhofft – leider vergeblich. Die Therapie war teuer, rund 20.000 Euro für fünf Sitzungen. Einen Teil davon habe ich über Crowdfunding finanziert. Journalisten wurden auf meinen Aufruf aufmerksam und fragten mich, ob sie mich zur Therapie begleiten dürfen. Ich dachte mir, warum nicht, und habe zugesagt.

War das im Nachhinein ein Fehler?

Heintz: Ich weiß es nicht. Ich sitze ja nicht mit am Tisch, man nach einem Casting die Entscheidung getroffen wird. Aber wie gesagt, es gab Leute, die mir dringend geraten haben, sowas nicht noch einmal zu machen. Wenn man dann später meinen Namen googeln würde, wisse jeder über deinen Gesundheitszustand Bescheid, meinten sie. 

Der Verlauf Ihrer Coronainfektion vor vier Jahren an sich war mild, richtig?

Heintz: Das stimmt, ich hatte kein Fieber, musste nicht in die Klinik. Nur meine Atmung war etwas flach. Aber das ging vielen so. Erst mal war ich nicht beunruhigt. Das änderte sich, als ich drei bis vier Monate später Herzrasen bekam. Auch die Atemnot wurde schlimmer, und ich war ständig erschöpft. Das mit der Erschöpfung ist bis heute geblieben, mal mehr, mal weniger, wie gesagt. Keine Therapie hat bislang entscheidend Besserung gebracht. Und ich habe wirklich so ziemlich alles gemacht… leider auch viel Falsches.

Therapiemaßnahmen, die kontraproduktiv waren, meinen Sie?

Heintz: Genau. Am Anfang dachte ich noch, das mit der Coronainfektion ist wie nach einer Krebserkrankung oder auch nach einer Depression. Da baut man sich ja auch Stück für Stück wieder auf, bewegt sich, macht Sport, ist aktiv. Ich habe mich mit Sport gepusht, bin zum Physiotherapeuten gegangen, in einen Hitzeschwitzkasten und immer wieder ins Fitnessstudio. Inzwischen weiß man: bei ME/CFS ist eine zu starke Aktivierung ein Schuss in den Ofen. Ein Aufenthalt in einer Rehaklinik, bei dem ich mich ziemlich verausgabt habe, hat meinen Zustand zum Beispiel deutlich verschlechtert. Ein Problem bei ME/CFS ist, dass man die Belastung häufig erst mit Verzögerung merkt. So kann es sein, dass man Sport treibt, sich fit fühlt, aber zwei oder drei Tage später hat man den totalen Zusammenbruch. Im Zusammenhang mit ME/CFS nennt man sowas einen „Crash“.

Und es gibt gar nichts, was dagegen hilft?

Heintz: Doch, bedingt kann das so genannte Pacing helfen: Das gezielte Einhalten von Ruhepausen. Wenn ich darauf achte, mich insgesamt nicht zu sehr zu belasten, komme ich halbwegs klar. Aber sich so zu kontrollieren, ist eine ziemlich große Herausforderung. Ich bin ein energiegeladener Mensch, will meine Freunde sehen, aktiv sein – dabei passiert es leider immer wieder, dass ich übers Ziel hinausschieße. Dasselbe gilt natürlich für den Job. Das Verstecken meiner Erkrankung hat in der Vergangenheit zu einigen absurden Situationen geführt.

Ein Beispiel?

Heintz: Ich war für die Rolle eines Soldaten in einer TV-Produktion gebucht. Plötzlich hieß es am Set: Wir haben hier diesen 20 Kilo schweren Rüstungsgürtel aus Polen bekommen, leg den doch mal um, der macht die Figur noch authentischer. Ich wusste, ich schaffe das eigentlich nicht, das Ding mehrere Stunden zu tragen.

Aber?

Heintz: Ich habe es dann letztendlich doch gemacht. Hinterher hatte ich einen Crash und lag drei Wochen lang im Bett.

Kann man so seinen Beruf weiter ausüben?

Heintz: Man versucht es irgendwie, kämpft sich durch. Zuletzt musste ich mich finanziell stark einschränken. Aber was wäre die Alternative? Ich zögere, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Damit dürfte ich nur noch zwei Stunden am Tag arbeiten. Drehtage mit nur zwei Stunden gibt es realistischerweise nicht. Der Normalfall sind eher zwei Drehtage pro Woche, insgesamt 16 Stunden. 

Und das sprengt das Maß, richtig?

Heintz: Wie gesagt, wenn ich das mit dem Pacing konsequent mache, geht das. Mit einer Erwerbsminderungsrente dagegen könnte ich in diesem Beruf nicht mehr arbeiten. Gar nicht mehr. Jedenfalls nicht unter den gegebenen Bedingungen. Eigentlich ist das skandalös. Auch chronisch kranke Künstlerinnen und Künstler haben ein Recht, ihrer Arbeit nachzugehen!

Unter anderen Bedingungen – wäre das die Lösung?

Heintz: Guter Punkt. Ja, das wäre tatsächlich ein großer Wunsch, dass sich da für uns als betroffene Schauspielerinnen und Schauspieler was tut. Dass wir mehr Flexibilität hätten. So wie zuletzt im Dezember bei einer sehr besonderen Theaterproduktion hier im Berliner HAU, das in der freien Szene als das größte und internationalste Theater in Deutschland gilt. Die Produktion der Performancegruppe Showcase Beat Le Mot war ein Glücksfall für Schauspielerinnen und Schauspieler mit Post-Covid…

Also auch für Sie?

Heintz: Ich habe lange darüber nachgedacht, mich zu bewerben. Es gab einen Open Call auf Insta. Sinngemäß: Menschen mit Post-Covid und ME/CFS für Theaterproduktion gesucht. Das Programm klang verlockend, mehr nach Festival als nach Theater. Tatsächlich hat es dann während der Aufführungen unter anderem so Dinge wie eine „Silent Disco“ im Orchestergraben, eine Chill Out Area mit Liegen und Sitzsäcken als Rückzugsort für Erkrankte gegeben. Und eine Bar mit histaminfreiem Essen, wie es vielen Betroffenen guttut. Ganz toll fand ich, dass die Probezeiten im Vorfeld recht frei eingeteilt werden konnten. Und dass es einen langen Vorlauf gab, von Juli bis Dezember. Also das genaue Gegenteil vom sonst üblichen Montag bis Freitag, morgens bis abends. 

Also: Haben Sie sich beworben?

Heintz: Nein. Ich habe der mahnenden Stimme nachgegeben und war letztlich nur als Zuschauer dort.

Konnten Sie sich vor Ort mit betroffenen Schauspielern, die mutig waren und auf der Bühne standen, vernetzen, austauschen? 

Heintz: Das hatte ich ursprünglich gehofft – und auch, dass ich dabei vielleicht Anregungen für den Umgang mit meiner verzwickten Lage bekommen würde. Leider war die Möglichkeit für einen Austausch dann aber kaum gegeben. Ende des Jahres gingen die Corona-Zahlen ja wieder rauf. Daher waren alle angehalten, Infektionsschutzmaßnahmen einzuhalten. Im Eingangsbereich des Thaters wurden FFP2-Masken ausgegeben. Bis auf ganz wenige, mir unverständliche Ausnahmen hatte jeder eine solche Maske auf. Nicht nur im Publikum und bei den Schauspielern. Auch die Techniker trugen Masken. Für mich ein Zeichen des Respekts und des Ernstnehmens. Auch, dass alle vier Vorstellungen ausverkauft waren, habe ich als ein starkes Signal empfunden. 

Ein Anstoß, früher oder später doch selbstbewusst und offen mit Ihrer Erkrankung umzugehen?

Heintz: In der Zeit nach dem Auftritt war ich so gut wie entschlossen, diesen Schritt zu gehen. Kein Verseckspielen mehr. Auf die Dauer ist das ja auch einfach enorm kräftezehrend. Und es fühlt sich falsch an. Ein bisschen vergleiche ich das Ganze mit meiner Homosexualität und dem Coming-Out damals. Dass es Label wie „queer“ oder „schwul“ gibt, heißt ja nicht, dass ich diese Label immer habe. Post-Covid ist ein großer Teil meines Lebens, mein Jetzt-Zustand. Eigentlich möchte ich dazu stehen.

Eigentlich… aber?

Heintz: Ganz aktuell habe ich wieder einen Rückzieher gemacht. Der Hintergrund ist der, dass ich für einen Kinofilm angefragt worden bin. Ich selbst war an sich soweit, die Sache beim Casting anzusprechen. Aber meine Agentin hat mich gebremst…

Wie geht es Ihnen mit dem Rückzieher?

Heintz: Nicht gut. Es ist eine Notlösung. Und ein bisschen hat man fast ein schlechtes Gewissen den anderen Betroffenen gegenüber. Wir brauchen so dringend mehr Verständnis und überhaupt erstmal Aufklärung zu dieser furchtbaren, viel zu wenig erforschten Krankheit ME/CFS. Das ist die Voraussetzung dafür, dass endlich was in Bewegung kommt. Wie wohl die meisten Betroffenen hoffe ich darauf, dass doch noch was in der medizinischen Forschung was passiert und wir da irgendwie rauskommen.

Wieso sagen Sie in Bezug auf die Betroffenen einschränkend „die meisten“?

Heintz: Grob gesagt gibt es bei ME/CFS drei Kategorien: Mild, moderat und schwerstbetroffen. Meine Erkrankung hat eine milde bis moderate Schwere, das lässt mich hoffen. Mit der Situation Schwerstbetroffener, die so gut wie gar nicht mehr aus dem Bett kommen, ist mein Zustand nicht zu vergleichen. Hey, ich werde vermutlich bald im Kino zu sehen sein! Ich bin hungrig aufs Arbeiten, auf Jobs. Ich wünschte nur, dass ich in Zukunft auf Umstände treffe, die es mir erlauben, diesen Hunger zu stillen!