
Welche Gefahr besteht für Deutschland? Experte klärt zu zerstörten Atomanlagen auf
Die USA haben in den vergangenen Tagen mehrere Atom- und Uran-Anreicherungsanlagen im Iran mit teils schwersten Bomben angegriffen. Wie groß das Ausmaß der Verwüstung tatsächlich ist – das konnte bislang nicht zweifelsfrei geklärt werden. Während US-Präsident Donald Trump von einer kompletten Zerstörung spricht, berichten iranische Behörden lediglich von Beschädigungen.
Trotz oder gerade wegen der Unstimmigkeiten machen sich weltweit viele Menschen Gedanken, welche Auswirkungen die Bombardierungen haben könnten – nicht nur politisch, sondern auch gesundheitlich. Sie fürchten sich vor der Strahlung oder einer möglichen Atomwolke, die bis nach Europa ziehen könnte.
FOCUS online hat Roland Wolff, Medizinphysiker und Sachverständiger für Strahlenschutz, Medizin- und Strahlenphysik, befragt, welche gesundheitlichen Risiken von den jüngsten Angriffen ausgehen.
FOCUS online: In den vergangenen Tagen haben die USA iranische Uran-Anreicherungs- und Atomanlagen bombardiert. Laut internationaler Atombehörde wurde dabei keine Strahlung außerhalb der Einrichtung freigesetzt. Warum nicht? Und – überspitzt gefragt – warum kam es noch zu keiner Atomkatastrophe?
Roland Wolff: Die Meldungen der iranischen Aufsichtsbehörde an die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ließen sich bisher nicht unabhängig verifizieren.
Durch die nächtlichen Luftangriffe der USA wurden die Anlagen in Fordo, Natans und Isfahan getroffen. Der Komplex in Isfahan wurde dabei nach dem Angriff durch Israel erneut attackiert, die betroffenen Gebäude könnten eventuell radioaktives Material enthalten. Außerdem lieferten Satellitenaufnahmen laut IAEA Hinweise auf zusätzliche Schäden an den unterirdischen Anreicherungsanlagen in Natans.
Am 19. Juni gab es einen Angriff auf den Schwerwasserreaktor Arak in Khondab, der nach Mitteilung des Iran an die IAEA erst 2026 in Betrieb genommen werden sollte. Daher wurde dort kein radioaktives Material freigesetzt.
Was kann bei einem solchen Angriff theoretisch passieren, was kann austreten?
Wolff: Die Szenarien nach einem Angriff hängen von der Art der Anlage ab.
Im Gegensatz zu einem Kernreaktor befinden sich in einer Anreicherungsanlage keine radioaktiven Spaltprodukte. Somit kann es nicht zu einem Ereignis wie beispielsweise Fukushima oder Tschernobyl kommen. Die radiologischen Folgen wären daher geringer als bei einem Kernkraftwerk.
Worin liegt der Unterschied?
Wolff: In Anreicherungsanlagen liegt Uran-235 als gasförmiges Uranhexafluorid vor, was besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert. Dieses spaltbare Uranisotop kommt im natürlichen Uran zu etwa 0,7 Prozent vor. Aus physikalischen Gründen wird für die Energieerzeugung in Kernkraftwerken ein Anteil von drei bis fünf Prozent benötigt.
Für Kernwaffen ist ein Anteil von über 80 Prozent nötig. Daher muss Uran-235 für die technische Verwendung angereichert werden.
Welche Auswirkungen auf die Gesundheit hat ein Angriff auf die Uran-Anreicherungsanlage?
Wolff: Das in den Zentrifugen der Anreicherungsanlage verwendete gasförmige Uranhexafluorid bildet bei Kontakt mit Wasser oder Luftfeuchtigkeit Flusssäure, die bei Inhalation die Atemwege schwer schädigt.
Mit der Atemluft durch Inhalation aufgenommene radioaktive Stoffe oder Stäube gelangen in die Lunge. Die kurzreichweitigen Alpha-Strahler führen zu Zellschäden. Es kann zu Lungenkrebs, Knochenkrebs und Leukämie kommen. Außerdem sind Schäden am Erbgut möglich. Uran ist ein Schwermetall. Als ein chemisches Gift schädigt es die Nieren.
Welche Gefahr besteht für Deutschland? Speziell auch in dem Fall, wenn aus einer zerstörten iranischen Anlage Strahlung austreten sollte?
Wolff: Es ist unwahrscheinlich, dass durch Transportprozesse in der Atmosphäre radioaktive Stoffe in radiologisch relevanten Mengen nach Deutschland gelangen. Diese werden lokal deponiert und können durch Wind in Nachbarländer gelangen.
Ab wann wird die Bombardierung einer Uran-Anreicherungsanlage sowie Atomanlage wirklich gefährlich?
Wolff: Die Bombardierung kerntechnischer Anlagen stellt immer ein Gefährdungspotential dar. Werden Sicherheitsbarrieren von Uran-Anreicherungsanlagen beschädigt, so dass es außer Kontaminationen im Inneren auch zur Freisetzung radioaktiver Stoffe kommt, ist mit einer Kontamination von Boden und Luft in der näheren Umgebung zu rechnen.