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Neue Studie zu Medikamenten für trans Jugendliche: Pubertätsblocker beeinträchtigen das spätere Sexualleben nicht

Jugendliche mit einer Geschlechtsinkongruenz, deren Geschlechtsidentität also nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, verspüren oft einen großen inneren Konflikt. In einigen Fällen ist der Leidensdruck bei den Betroffenen so groß, dass sie schon in jungen Jahren Pubertätsblocker verschrieben bekommen.

Diese Medikamente reduzieren die Produktion der Geschlechtshormone und verhindern zum Beispiel, dass biologische Jungen in den Stimmbruch kommen oder ihnen ein Bart wächst; bei biologischen Mädchen wird unter anderem das Brustwachstum gestoppt. Damit soll der Leidensdruck der Heranwachsenden gemindert werden. Einige entscheiden sich später in einem zweiten Schritt für eine Transition, also eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung und Operation.

Für die Aufklärung von trans Jugendlichen und ihren Eltern ist die aktuelle Studie beruhigend.

Achim Wüsthof, Kinder- und Jugendmediziner

Wie sich die Behandlung mit Pubertätsblockern langfristig auf die sexuelle Zufriedenheit und die sexuelle Gesundheit der Jugendlichen auswirkt, darüber gibt es bislang kaum aussagekräftige Daten.

Kritiker einer solchen Behandlung befürchten unter anderem Einschränkungen in der sexuellen Erlebnisfähigkeit und fordern deshalb, dass die psychosexuelle Entwicklung bereits abgeschlossen sein sollte, bevor Hormonbehandlungen zum Einsatz kommen. Die britische Gesundheitsbehörde etwa stoppte vor einiger Zeit die Verschreibung der Blocker außerhalb klinischer Studien.

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Eine aktuelle Untersuchung aus den Niederlanden, deren Ergebnisse im Fachjournal „The Journal of Sexual Medicine“ veröffentlicht wurden, kommt nun zu einem anderen Schluss: Die Behandlung mit Pubertätsblockern wirkt sich demnach nicht negativ auf das spätere Sexualleben von trans Personen aus.

Die Studie liefert Langzeitdaten zu insgesamt 70 Personen, die in der Vergangenheit mit Pubertätsblockern behandelt worden waren, darunter 20 trans Frauen und 50 trans Männer. Im Durchschnitt lag die Behandlung 14 Jahre zurück. Die meisten (rund drei Viertel) der Studienteilnehmer*innen hatten die Medikamente in der späten Pubertät erhalten, rund ein Viertel bereits in der frühen. Alle hatten später eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung, die meisten zusätzlich noch eine Operation.

„Angesichts der geringen Fallzahlen von Personen mit Geschlechtsdysphorie und des 14-jährigen Follow-up-Intervalls ist dies eine beachtlich große und damit aussagefähige Zahl von Untersuchten“, sagte Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie am Universitätsklinikum Münster und Koordinator der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, dem Science Media Center (SMC).

Wie funktionieren Pubertätsblocker?

Pubertätsblocker sind synthetisch hergestellte Substanzen, die dem Hormon GnRH ähneln. Dieses Hormon wird normalerweise mit Beginn der Pubertät ausgeschüttet und regt über Botenstoffe die Bildung der Geschlechtshormone in den Hoden beziehungsweise den Eierstöcken an.

Die Medikamente, die als regelmäßige Injektionen oder Implantate verabreicht werden, blockieren die GnRH-Rezeptoren im Gehirn, sodass Hoden und Eierstöcke an der Produktion der Sexualhormone Testosteron und Östrogen gehindert werden.

Ursprünglich wurden Pubertätsblocker vor allem Kindern verschrieben, deren Pubertät viel zu früh, also schon vor dem achten Lebensjahr, begann. Mittlerweile setzen Ärzte sie jedoch auch bei Jugendlichen mit diagnostizierter Geschlechtsdysphorie und Leidensdruck ein.

Ob und in welchem Alter Pubertätsblocker infrage kommen, darüber entscheiden Ärztinnen und Ärzte in enger Abstimmung mit den Patient*innen und unter Abwägung aller Risiken einer Behandlung oder Nichtbehandlung. Eine feststehende Altersgrenze für die Therapie gibt es dabei nicht.

Die Behandlung mit Pubertätsblockern gilt grundsätzlich als reversibel. Das heißt: Werden die Medikamente abgesetzt, kann die pubertäre Reifung wieder fortschreiten. Als mögliche Nebenwirkung der Behandlung gilt laut Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter vor allem eine verminderte Knochendichte, die jedoch größtenteils durch eine spätere geschlechtsangleichende Hormonbehandlung wieder ausgeglichen werden kann.

Ein verspäteter Schluss der Wachstumsfugen in den Knochen könnte sich zudem insbesondere bei trans Mädchen auf die Körpergröße auswirken. Sie wachsen mitunter länger als gewollt und werden dadurch größer. Eventuelle Folgen des Pubertätsstops für die psychosexuelle Entwicklung konnten bislang nicht sicher ausgeschlossen werden.

Eine ausbleibende Behandlung kann dagegen bei den betreffenden Jugendlichen aufgrund der körperlichen Veränderungen, die nicht mit ihrem empfundenen Geschlecht übereinstimmen, zu einem gesteigerten Leidensdruck führen.

Romer und andere Experten werten die Studie als wichtigen Schritt in der Erforschung des Themas: „Das wichtigste Ergebnis der Studie ist: Berichtete Probleme mit der sexuellen Zufriedenheit traten bei den im Jugendalter mit Pubertätsblockern Behandelten nicht häufiger auf als bei Transgender-Personen, die erst nach voller durchlaufener pubertärer Reifung eine Hormonbehandlung begannen“, sagt Romer. „Auch gibt es keinen Hinweis dafür, dass der Zeitpunkt des Beginns einer Pubertätsblockade – in einem früheren oder späteren Stadium in der Reifeentwicklung – hier einen Unterschied machte.“ 

Kritiker sieht „Scheinsicherheit“ durch die Studie

In der Studie gaben 49 Prozent der Befragten an, mit ihrem Sexualleben zufrieden zu sein, was laut den Studienautoren in etwa dem Wert in der Gesamtbevölkerung entspricht. Ebenfalls rund die Hälfte der Teilnehmenden berichtete über sexuelle Funktionsstörungen, wie zum Beispiel eine beeinträchtigte Orgasmusfähigkeit. Laut den Studienautoren treten die Beschwerden damit nicht häufiger auf als bei anderen trans Menschen, die in ihrer Jugend keine Pubertätsblocker eingenommen haben.

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„Für die Aufklärung von trans Jugendlichen und ihren Eltern ist die aktuelle Studie beruhigend, dass keine gravierenden Beeinträchtigungen ihrer künftigen Sexualität durch den Einsatz von Pubertätsblockern zu befürchten sind“, sagte Kinder- und Jugendmediziner Achim Wüsthof, Mitautor der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, dem SMC.

Es gibt jedoch auch Kritik an der Untersuchung, etwa von Florian Zepf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena. Die Studie suggeriere „auf Basis unzureichender Daten, dass eine frühe Pubertätssuppression keine negativen Auswirkungen auf sexuelle Zufriedenheit oder Funktion habe“, sagt Zepf, der sich unter anderem an der seiner Ansicht nach kleinen Stichprobengröße stört.

Die Ergebnisse hält er für wenig belastbar. „Alle Teilnehmer*innen erhielten im Anschluss eine Cross-Sex-Hormongabe und teilweise chirurgische Eingriffe“, sagt Zepf. Die Daten erlaubten daher keine Trennung der Effekte von Pubertätssuppression, Hormongabe und Operation. „Zudem fehlt eine systematische Erhebung und Kontrolle zentraler Einflussfaktoren wie der psychischen Gesundheit, des Körperbilds, der Beziehungserfahrungen und erfüllter Transitionsziele.“ Die Studie erzeuge daher lediglich eine „Scheinsicherheit“.

Einig sind sich die Experten darin, dass in Zukunft weitere Studien nötig sind, die sich mit der langfristigen Lebenszufriedenheit von trans Personen mit abgeschlossener Hormonbehandlung beschäftigen. (mit SMC)