
Alles hinwerfen, morgen los: Paar verrät, wie hart Aussteigen wirklich ist
FOCUS online: Ihr seid über zwei Jahre lang um die Welt gereist, hattet zwischendurch die Idee, noch ein paar Jahre so weiterzumachen. Aber jetzt sprecht ihr vom Ankommen und davon, dass ihr euren Van am liebsten sofort gegen eine Wohnung oder einem Haus tauschen würdet. Was ist passiert?
Laurenz: Wir bereuen nichts, die Zeit war toll. Aber sorgenfrei war sie definitiv nicht.
Lara: Die Probleme, die man sonst im Alltag hat, sind keinesfalls weg. Sie verschieben sich.
Laurenz: Das perfekte Leben, das so viele Weltenbummler auf ihren glattgebügelten Kanälen versprechen, gibt es einfach nicht. Man sieht nur einen Ausschnitt, oft mit einem Weichzeichner drauf.
Ihr seid 2021 aufgebrochen. Wohin zuerst?
Laurenz: Eigentlich wollten wir ein Jahr lang durch Südamerika reisen. Aber dann kam Corona, die Grenzen waren dicht.
Lara: Wir waren ziemlich frustriert, hatten keinen Plan B.
Laurenz: Der kam eher zufällig. Ich hatte im Rahmen meines Studiums des Wirtschaftsingenieurwesens ein Praktikum in einem Ingenieurbüro gemacht, der Chef hörte von unserer Situation. Er meinte, er hätte noch einen alten, ausgebauten Van bei sich rumstehen. Mit dem könnten wir los.
Lara: Also Europa statt Südamerika.
Laurenz: Erst fuhren wir nach Dänemark, dann über Schweden, Norwegen, Finnland bis ans Nordkap.
Lara: Und von da ans Schwarze Meer, nach Rumänien.
Laurenz: Zwischendurch, über Weihnachten, waren wir drei Wochen lang zu Hause bei unseren Eltern.
Lara: Bereits da haben wir eine interessante Erfahrung gemacht: Wenn man unterwegs ist, freut man sich wahnsinnig aufs Ankommen. Und wenn man angekommen ist, freut man sich wieder aufs Unterwegs-Sein. Zwischen diesen Gegensätzen haben wir uns bewegt.
Laurenz: Im ersten Jahr lag der Schwerpunkt aber klar auf der Freude am Unterwegs-Sein. Vor allem die ersten vier Monate bis Weihnachten waren die pure Euphorie. Alles war neu, aufregend. Ich glaube das war die schönste Zeit.
Lara: In Jahr eins sind wir außerdem in Spanien, Portugal und Frankreich gewesen. Dann sind wir rüber nach England, Irland und Schottland. Tatsächlich waren wir nie länger als zwei Tage an einem Ort. Damals sind wir ja noch davon ausgegangen, dass es nach dem einen Jahr vorbei ist. Irgendwie will man so viel wie möglich mitnehmen. Wir hatten Hummeln im Hintern.
Laurenz: Unser Plan war, jedes Land in Europa zu sehen. Rückblickend muss ich sagen: Das war natürlich Quatsch. Da hätten wir pro Land nicht mal eine Woche gehabt.
Lara: Nach einiger Zeit haben wir gemerkt, dass es Sinn macht, zu priorisieren. Nicht nur bei den Ländern. Der tausendste Marktplatz, den man sich anschaut, ist doch nur ein Marktplatz.
Laurenz: Gerade bei Städten hat die Faszination mit der Zeit nachgelassen. Manchmal haben wir uns angeschaut und gefragt: Wofür machen wir das? Nur, damit wir es gesehen haben?
Hat sich schon im ersten Reisejahr eine gewisse Erschöpfung eingestellt?
Lara: Da noch nicht, dafür war das Wow zu groß. Nicht nur das Unterwegssein war neu, wir hatten vorher auch noch nicht als Paar zusammengewohnt.
Laurenz: Wir sind sozusagen im Van zusammengezogen. Abenteuer auf der ganzen Linie.
Lara: Und eine nicht gekannte Freiheit. Was wollen wir machen? Ein tolles Gefühl, das jeden Tag neu entscheiden zu können.
Laurenz: Allerdings haben wir festgestellt, dass es uns besser geht, wenn wir eine gewisse Struktur haben. In der ersten Zeit haben wir viel ausgeschlafen. Dann fingen wir an, den Wecker zu stellen. Auf 8 Uhr.
Lara: Auch das Arbeiten wurde mehr und mehr Teil einer Routine. Wir haben unterwegs viel gefilmt, die Filme am Laptop geschnitten und online gestellt. Woher bekommen wir Strom? Das war manchmal eine Herausforderung. Sehr oft fanden wir uns bei IKEA wieder. Da gibt es Steckdosen und WLAN.
Habt ihr euch die Reise über die Filme finanziert?
Lara: Nein, bisher haben wir mit den Filmen so gut wie nichts verdient. Das ist eher eine längerfristige Idee, dass daraus mal ein Business werden könnte. Aber bitte ein authentisches Business. Weichgezeichnete Kanäle, die von vermeintlich wahrgewordenen Lebensträumen erzählen, gibt es genug!
Laurenz: Wenn wir vom Arbeiten im Van sprechen, meinen wir weniger Geld verdienen als schlicht etwas Sinnhaftes tun. Einfach in den Tag hineinleben kann sehr unzufrieden machen.
Lara: Die Wahrheit ist: Dauerreisen allein macht überhaupt nicht glücklich. Uns war schon ziemlich bald klar: Wir müssen nicht jeden Touristenhype mitnehmen. Nicht jeden bei Lonely Planet gelisteten Ort gesehen haben.
Laurenz: Vieles haben wir dem Zufall überlassen. Man fährt zum Beispiel an einem Parkplatz vorbei, sieht dieses Wanderschild…
Lara: Ja, das war in Kroatien. Die Wanderung ging entlang einer stillgelegten Bahnstrecke. Teils durch Tunnel, die Schienen waren überwachsen. Eine wunderschöne, wilde, einsame Landschaft. Das war definitiv ein Highlight.
Laurenz: Auch Rumänien war sehr besonders. Einmal hatten wir einen Stellplatz oben in den Bergen. Blick in die Weite, Einsamkeit, nur ein paar wilde Hunde waren da.
Lara: Einer der schönsten Momente war in Griechenland. Wir waren ganz allein am Strand. In der Ferne der Berg Athos. Plötzlich sind vor uns Delfine aufgetaucht. Es war abends, die Sonne ging gerade unter. Direkt hinter den springenden Delfinen! Ich dachte: Das ist so schön, fast kitschig, das kann nicht wahr sein.
Laurenz: Als das Jahr zu Ende ging, fiel der Entschluss, weiter zu reisen. Und eben nicht nach dem Bachelor noch den Master zu machen, wie eigentlich geplant.
Lara: Den Van konnten wir Laurenz´ früherem Chef abkaufen.
Laurenz: Nach vier Wochen in der Heimat ging es wieder los.
Von welchem Geld, wenn man fragen darf?
Laurenz: Wie schon im Jahr zuvor haben wir in den paar Sommerwochen richtig rangeklotzt. Wir arbeiten dann immer in der Landwirtschaft, bringen mit Drohnen biologischen Pflanzenschutz aus.
Lara: Von morgens früh bis zum Sonnenuntergang. In der Regel sind wir von sieben bis 22 Uhr auf dem Feld. Die ganze Woche durch, auch am Wochenende.
Laurenz: Danach sind wir echt platt. Urlaubsreif sozusagen. Da in der Landwirtschaft nicht pro Stunde, sondern pro Hektar bezahlt wird, holen wir beim Honorar das Maximum raus.
Aber die vier Wochen Job reichen nicht für ein Jahr reisen, oder?
Lara: Doch, tatsächlich. Für uns jedenfalls. Ich weiß, dass viele denken: Das kann nicht funktionieren. Wenn wir unterwegs sind, brauchen wir nicht viel. Wer den deutschen Standard und ein Gehalt von mehreren tausend Euro im Monat im Kopf hat, kann sich das vermutlich nicht vorstellen.
Wohin ging die Reise im zweiten Jahr?
Lara: Erst mal den Balkan runter. Und dann nach Weihnachten für drei Monate nach Marokko. Da haben wir Blut geleckt. Wir hatten den Kontinent gewechselt, wollten noch mehr von der Welt sehen.
Laurenz: So entstand recht kurzfristig der Plan, den Van im Frühjahr daheim abzustellen und nach Asien zu gehen.
Lara: Erst mal nur für fünf Wochen, wir mussten ja für unseren Sommerjob wieder zu Hause sein.
Laurenz: Asien war von Anfang an anstrengend. Wir haben unseren Van vermisst, den Luxus eines eigenen Bettes. Wir haben in Hostels geschlafen. Teilweise in Mehrbettzimmern.
Lara: Im Van konnten wir da schlafen, wo wir angehalten haben. Jetzt mussten wir uns kümmern: Wie kommen wir von A nach B?
Laurenz: Nach der erneuten Sommerpause sind wir dann trotzdem noch mal los. Für drei Monate – der Rückflug war auch schon gebucht. Thailand, Malaysia, Indonesien, Philippinen - das waren die Länder auf unserer Liste.
Lara: Ehrlich gesagt: Schon als wir in Thailand ankamen, schon am Flughafen, haben wir uns gefragt: Warum haben wir das gemacht?
Laurenz: Es war heiß, es war voll, es fühlte sich irgendwie nicht stimmig an.
Lara: Den Bali-Hype zum Beispiel können wir überhaupt nicht nachvollziehen.
Laurenz: Bali fanden wir schrecklich. Sehr westlich. Überall gibt es Burger-Ketten.
Lara: Und Bamigoreng und Nasigoreng. Wieso fliegt man weg, wenn alles so ist wie zu Hause?
Laurenz: Auch in Asien hatten wir schöne Momente, vor allem Indonesien hat uns begeistert. Insgesamt war die Reiselust aber zumindest streckenweise nicht mehr so da.
Lara: Auf den Philippinen wurden wir beide krank. Fieber, Erkältung. Ich glaube, wir waren einfach total kaputt.
Laurenz: Es fällt schwer, anderen zu vermitteln, wie es uns ging und dass wir die drei Monate gegen Ende letztendlich wegen des schon gebuchten Rückflugs durchgezogen haben. Tatsächlich befanden wir uns ja in Gegenden, die für viele die absoluten Sehnsuchtsorte sind. Aber die Anstrengung sieht man nun mal nicht auf den Fotos.
Lara: Ich kenne das andersrum, wenn ich Urlaubsbilder von einer Freundin bekomme. Der Strand, das Meer – das sieht toll aus. Die Hitze und dass alles vor Sonnenmilch klebt, das sieht man nicht.
Laurenz: Die Leute denken immer: Die machen Urlaub. Die lassen sich treiben, genießen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Zum Beispiel im Van: Viele Dinge, für die man in einer Wohnung nur das Zimmer wechseln müsste, sind ein ziemlicher Aufwand. Der Frischwassertank will stets gefüllt sein. Das Abwasser muss weggebracht werden. Im Van gibt es keine Dusche. All so was.
Lara: Dazu kommt: Unterwegs lernt man viele gewohnte Privilegien der Heimat zu schätzen. Nach Marokko etwa war ich das ständige Verhandeln leid. In Deutschland stehen Preiszettel auf den Sachen, die Preise gelten – fertig. Das war wirklich ein Aufatmen.
Laurenz: Oder als wir bei unserer Rückkehr aus Asien Bahn gefahren sind. Die Sauberkeit und Struktur in Deutschland sind sehr wohltuend. Eigentlich wollten wir im Januar los nach Südamerika, das war unser Plan.
Lara: Den haben wir kurzerhand gecancelt. Es hätte sich nicht richtig angefühlt, zu gehen.
Das heißt, ihr seid nun seit diesem Jahr zu Hause?
Lara: Das ist es ja gerade, unser zu Hause ist der Van, sonst haben wir nichts. Wenn wir in Deutschland sind, kommt jeder von uns bei seinen Eltern unter. Unser ganzes Hab und Gut ist in Kartons. Das ist natürlich kein Leben so auf Dauer.
Laurenz: Deshalb sind wir in den letzten Monaten noch mal losgezogen. Aber diesmal ganz gemütlich. In vier Monaten waren wir in gerade mal zwei Ländern: Spanien und Schottland.
Lara: Länder wie die Unterhosen wechseln, das wollen wir nicht mehr.
Laurenz: Ehrlich gesagt, würden wir am liebsten sofort auf Haussuche gehen. Aber das ist finanziell aktuell nicht drin.
Lara: Gerade machen wir wieder unseren Sommerjob in der Landwirtschaft. Wie es weitergeht, ist noch offen. Eine Idee ist längerfristig ein Häuschen in Schweden. So viel ist klar: Wir wollen viel Natur um uns herum.
Laurenz: Wir wollen ankommen. Irgendwo einziehen. Wir haben gemerkt, dass Reisen für uns nur funktioniert, wenn wir ein Zuhause haben, in das wir zurückkehren können.